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Verführerische Vielfalt

Das größte Land des ehemaligen Jugoslawiens liegt ganz im Zentrum der Balkaninsel – und im touristischen Schatten der Küstenstaaten Kroatien und Montenegro. Verstecken muss es sich wegen fehlender Stände nicht mehr: Die Times titelte bereits ‚Belgrad ist das neue Berlin‘. Novi Sad, die zweitgrößte Stadt Serbiens, ist dieses Jahr europäische Jugendhauptstadt und wird 2021 auch gleich noch zur Kulturhauptstadt Europas. Klöster und UNESCO Weltkulturerbestätte, Schluchten und Berge und nicht zuletzt Küche und Wein sorgen für abwechslungsreiche Erlebnisse im Land zwischen Orient und Okzident. Wir haben uns von Belgrad und seiner Umgebung betören lassen.

Belgrad geht aus

Ungewöhnlich für deutsche Nasen ist der Geruch in den Kneipen und Restaurants der rund 1.5 Millionen Stadt. Dort riecht es oft stickig – nach Zigarettenqualm. Im Restaurant Iva von Vanja Puškar, der CEO der Organisation ‚New Balkan Cuisine’ ist, gehen die Gäste allerdings zum Rauchen vor die Tür. Der 33-Jährige gründete ebenfalls den ‚Chefs Club Belgrade‘ und ist überzeugt: „Die lokalen Zutaten kombiniert mit modernen, kulinarischen Techniken sind die Zukunft unseres Landes.“ Die Beliebtheit seiner beiden Restaurants scheinen ihm Recht zu geben. Neben dem Iva im Szeneviertel Dorćol, betreibt er seit 2016 auch das Iris. Dort bietet er monatlich wechselnde acht Gänge Menüs für rund 33,- Euro. Seine Zutaten bezieht er von kleinen Produzenten, die seine Vision teilen: „Wenn man die Erzeuger kennt, kann man ihre Energie und Liebe für ihre Produkte auf die Teller der Gäste zaubern.“ Die Kajmak, aus geronnener und gesalzener Sahne, schmeckt cremig und passt perfekt zum Bermuz, dem typischen Maisbrot.

Sommelier 201

Ähnlich ambitioniert, Serbien kulinarisch voran zu bringen, ist der Sommelier Vuk Vuletić, der den Titel ‚The Best Sommelier of The Balkans 2018‘ führt. Der Weinkenner ist unter anderem für das Restaurant Podrum Novi in Neu-Belgrad zuständig, das der Fluss Save von Belgrad trennt. „Meine Gäste bekommen bei mir Wein, den sie vorher noch nicht getrunken haben“, sagt er, nicht ohne Stolz. „Vor fünf Jahren tranken die Serben durchschnittlich rund drei Liter Wein pro Kopf und Jahr.“ Heute seien es bereits über acht Liter.

 

Nicht weit von der Weinbar entfernt liegt mitten im Studentenviertel die Bauernschänke Tošin Bunar. Von draußen hört man die schnellen Klänge von Bass und Gitarren. Beim Eintreten in das Lokal stockt einem kurz der Atem. Angesichts der Stimmung, die die vier Musiker verbreiten, gerät die rauchgeschwängerte Luft schnell in den Hintergrund. Die ciganski (Zigeuner) - Menschen dieser ethnischen Gruppen heißen hier einfach so – unterhalten Jung und Alt und zwar ohne Pause. Bei Ćevapčići (Hackfleisch), Karađorđeva šnicla (gerollte, mit Käse gefüllte und frittierte Schnitzel) und gemischter Grillplatte mit Pommes amüsieren sich die Serben bis in die frühen Morgenstunden. Bei einem Glas Rakija, dem klaren Obstbrand, kommt man mit den gastfreundlichen Tischnachbarn ins Gespräch – es stört kaum, dass nicht alle die gleiche Sprache sprechen.

Fruška Gora, Kornkammer des Nordens

Übersetzt heißt diese Region Frankenwald und ist der älteste Nationalpark im Land. Der Gebirgszug wird auch der heilige Berg der Serben genannt – „wegen der zahlreichen Klöster“, wie die Reiseleiterin Ruzisca Ristic erklärt. Mit dem Bus geht es stetig aufwärts: Durch grüne Lindenwälder, kleine Ortschaften und vorbei an endlos erscheinenden Reihen von Weinreben. „Die Region zeichnet die lange Tradition des Weinanbaus aus“, so Ristic. Während der Jahrhunderte dauernden Herrschaft der Türken trieben nur noch die Mönche der Klöster den Weinbau voran. Erst unter der Habsburger Monarchie blühten die Weinstöcke wieder so richtig auf.

Wein mit Geschicht

Vinarija Imperator vermarktet den ersten Wein mit europäischen Bio Siegel. „Unsere Weine gehen vor allem an serbische Restaurants und inzwischen auch nach Schweden und Dänemark“, erklärt Vanja Tazlic, der den Bio Wein mit Geschichte verkauft. Alle tragen sie die Namen berühmter Eroberer, so wie der rote Qvintillvs, acht Monate in serbischen Barriquefässern gereift. Nach einem allgemeinen Živeli (Prost) entfaltet sich ein fruchtiger Geschmack auf der Zunge. „Kaiser Qvintillvs war nur einer der 17 römischen Kaiser, die auf serbischem Gebiet geboren wurden“, erläutert Tazlic.

Likörwein Bermet

Ganz anders schmeckt der Bermet, ein süßer Wein aus dem Keller vom Weingut Bajilo, im nahe gelegenen Barockstädtchen Sremski Karlovci. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die dortigen Weine bis nach Kanada und in die USA exportiert. Mitte des 18 Jahrhunderts besaßen von 565 Haushalten in Karlovci 459 ihren eigenen Weingarten.

Novi Sad, neuer Glanz auf alten Mauern - Kulturhauptstadt 2021

Von Lonely Planet, Verlag unabhängiger Reise- und Sprachführer, wurde die Stadt an der Donau auf Platz drei der sehenswertesten Städte der Welt gerankt. Da es in Strömen regnet, verschwindet heute die riesige Festung Petrovaradin am gegenüberliegenden Flussufer fast im Nebel, trotz Ruzisca Ristic Beteuerung: „Von hier hat man den besten Ausblick auf die Burg.“ Die mächtige Befestigung, deren Geschichte bis zur Steinzeit zurück reicht, wird auch als ‚Gibraltar der Donau‘ bezeichnet.

Chinesisches Viertel

Die neugotische Kirche Maria Namen und das Rathaus im Neorenaissancestil spiegeln sich in den Pfützen auf dem Freiheitsplatz in der Altstadt Stari Grad. Popcorn Buden und bunte Getränkestände reihen sich an trendige Shops serbischer Labels wie IVKO – ein Designerladen, der alte Muster neuinterpretiert. Etwas runtergekommen, aber mit einem gewissen ‚shabby chic‘ verbunden, präsentiert sich das Chinesische Viertel in der Nähe des Donauhafens. Es beherbergt Underground Bars, Garagenhallen, die als Konzerthallen genutzt werden und ist das neue kreative Zentrum der Universitätsstadt. Einmal im Jahr wird Novi Sad zur ganz großen Bühne und zwar beim Exit Festival, bei dem vier Tage lang Rockmusik durch die Gassen wummert.

Ovčar Kablar Schlucht – zwei Berge und ein Fluss

Die Zapadna Morava trennt die Bergmassive Ovčar und Kablar. Ihr Wasser mäandert in Form von Gänsehälsen durch die ‚Landschaft mit außergewöhnlichem Rang‘, die diesen sperrigen Titel als Auszeichnung von der Regierung verliehen bekam. Bevor es ins Boot von Ranger Milan Caprilovic geht, kann jeder kurz die eigene Schwindelfreiheit testen – und zwar auf der Hängebrücke zwischen den beiden Massiven. Der schmale, hölzerne Boden schwankt bei jedem Schritt. Durch die Löcher zwischen den Planken erkennt man die träge fließende Morava. Jeder schafft es in die Brückenmitte und zurück – mit mehr oder weniger Ausrufen des Erschreckens.

Auf Wiedersehen oder auf Serbisch zbogom in Belgrad

Vorbei an Ada Cigganlija, der künstlichen Halbinsel vor der Stadt, wo im Sommer das ‚Belgrader Meer‘ (ein aufgestauter See) lockt, führt die Schrägseilbrücke über die Save in die Hauptstadt zurück. Von weitem ist die Festung Kalemegdan zu sehen. Die weiße Stadt, am Zusammenfluss von Save und Donau, ist geprägt durch wiederholte Zerstörungen und den darauffolgenden Wiederaufbau. Geblieben ist ein Häuser Mix: Überreste des osmanischen Reiches prägen ebenso wie neoklassizistische Bauten und Jugendstilvillen das heutige Erscheinungsbild. Im Stadtbild Vracar steht die Kathedrale des Heiligen Sava, die größte orthodoxe Kirche auf dem Balkan. Ihr Stil erinnert an die Haga Sophia in Istanbul und die Materialien davor, an die nicht enden wollenden Bauarbeiten. Belgrad ist eine Kulisse, die gegensätzlicher nicht sein könnte – so wie das ganze Land.

Tipps

  •  Anreise: Mit Air Serbia ab Stuttgart in einer Stunde und 40 Minuten nach Belgrad.

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