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WANDERN ZWISCHEN GIGANTEN

Nur wenige Sonnenstrahlen fallen auf die riesigen Farne, weichen Moose und Flechten des Rainforest Trails im Pacific-Rim-National Park - zwischen Ucluelet und Tofino an der Westküste der Insel. Das Blätterdach der Riesenlebensbäume, der Hemlocktannen und Sitka-Fichten ist dicht. Wer ihre Kronen sehen möchte, muss den Kopf schon ganz in den Nacken legen. Denn so ein Gigant kann leicht über 90 Meter hoch werden. Die Stämme schrauben und drehen sich wie Korkenzieher in den Himmel – krumm und bizarr. Unter der dicken Rinde sprießen Wucherungen, die an Kröpfe erinnern. Wurzeln schlängeln sich über den Boden und machen nicht einmal vor ihren umgestürzten Artgenossen Halt, die bereits einige Jahrhunderte vor sich hin modern - Grundlage neuen Lebens.

Rund 75 Prozent des old-growth (alter Wuchs) sind inzwischen abgeholzt – riesiger Kohlenstoffspeicher und Lebensraum für Bären, Pumas, Wölfe und Weißkopfseeadler.

Zwischen 5.000 und 10.000 Jahren dauert es bis sich dieses einzigartige Ökosystem bildet. Für das die Verflechtung der Bäume und Pflanzen über die Mykorrhiza, einem feinen Pilzgeflecht (zur gegenseitigen Kommunikation), der außergewöhnlich nährstoffreiche Mutterboden und die extrem hohe Bindekapazität von Kohlendioxid in Stämmen, Böden und Wurzeln charakteristisch ist. Es ist wie in einem Zauberwald, mystisch, fast unberührt von Menschenhand, den man auf einem Holzbohlenweg durchquert. Rauf und runter geht es über Stufen und Terrassen. So soll die wilde Natur geschützt werden, die sich dank heftiger Niederschläge der Westküstenberge und den ganzjährig milden Temperaturen so gewaltig hervortut.

Hier gibt es außerhalb der Tropen noch Regenwaldgebiete

Nur in British Columbia, Alaska und Chile sind die Regenwälder der gemäßigten Breiten noch auf größeren Flächen zu finden. Sie sind außerhalb der Tropen und Subtropen die einzigen Regenwaldgebiete der Erde. Durch Kahlschlag verschwindet immer mehr dieses old-growth. Ganz erheblich, mit rund 20 Prozent, trägt die massive Abholzung des Waldes zum weltweit verursachten Ausstoß von Treibhausgasen bei (im Vergleich zu drei Prozent beim Flugverkehr). „Es macht viel mehr Sinn die alten Wälder, als einzigartiges Ökosystem und riesigen Kohlenstoffsenker zu schützen, anstatt neue zu pflanzen, die wieder tausende von Jahren für ihre Entwicklung bräuchten“, ist Kai Andersch überzeugt. Der Forstwissenschaftler ist Vorsitzender und Mitbegründer der deutschen Stiftung Wilderness International, die hier in British Columbia regelmäßig unterwegs ist, um Flächen mit altem Wald zu lokalisieren, zu erforschen und aufzukaufen. „Nur so kann der alte Bestand nachhaltig geschützt werden“, macht der Experte für Bäume klar.

Der second-growth hat wenig Zeit zum Wachsen

Die aufgeforsteten Flächen, second-growth (Nachwuchs) genannt, bekommen nur wenige Jahrzehnte Zeit bis zum erneuten Anrücken der Holzfäller. Trotz der Gründung der Umweltorganisation Greenpeace 1971 in British Columbia und zunehmender Proteste, geht das Abholzen weiter. In den 90-iger Jahren kämpften die Menschen im benachbarten Tofino, allen voran die Ureinwohner (Nuu-chah-nulth), für den Erhalt der uralten Riesen – mit dem Erfolg, dass die UNESCO den Clayoquot Sound mit einer geschützten Fläche von 349947 Hektar zum Biosphärengebiet ernannte und darin 2001 den Pacific-Rim-Nationalpark einrichtete.

Überall scheinen die Raubtiere zu kauern

Der Regenwald der gemäßigten Breiten ist das artenreichste Ökosystem. Auch wenn sich die Insekten, Spinnen, Vögel und Säugetiere heute kaum zeigen, scheinen Schwarzbären, Grizzlys, Pumas und Wolfe, hinter dem nächsten Dickicht zu lauern. Dieses Gefühl stellt sich zumindest nach dem Lesen der Verhaltensmaßregeln ein, die vor allzu großer Nähe zwischen Menschen und Raubtieren schützen sollen. Jedes knackende Geräusch lässt das Grüppchen erstarren. Glöckchen an Rucksack und Kleidung und menschliche Stimmen warnen die Tiere und lassen sie normalerweise rechtzeitig die Flucht ergreifen.

Der alte Monarch

Der etwas mehr als zwei Kilometer lange Trail überquert mehrmals den Sandhill Creek. In dem seichten Gewässer laichen Lachse – ein weiteres Anzeichen für Bären und Co. Der Dschungel verdichtet sich weiter, winzig sind die Menschen, die fast schon demütig die Riesen beäugen. Ein Schild weist auf den vielleicht ältesten Baum des Pfads hin: „Der alte Monarch war noch ein Grünschnabel als Marco Polo 1271 zu seinen Reisen nach Asien aufbrach.“ Auf einem der uralten Äste ist der Umriss einer Eule auszumachen, die hier vor sich hindöst.

Weißkopfseeadler beim Frühstück

Die Bäume drängen sich bis an den Strand von Long Beach, der größten Bucht des Nationalparks. Eine wilde Schönheit mit feinem Sand, angeschwemmten Baumstämmen und zerklüfteten Felsen. Morgens ist es hier fast menschenleer. Heute lässt sich ein Weißkopfseeadler beim späten Frühstück beobachten. Eher einem glücklichen Zufall verdankt er wohl die Robbe, über die er sich hermacht. In der Luft segeln hungrige Artgenossen, darunter Jungtiere, die sich gegenseitig verscheuchen - ihnen fehlen noch die markanten weißen Kopf- und Schwanzfedern.

Unterwegs mit Nick

Zu den gefürchteten und doch sehnlichst erwarteten Wildtier Begegnungen kommt es dann im 50 Kilometer entfernten Campell River. Gemeinsam mit dem Safari Anbieter Nick Templeman und den beiden Wissenschaftlern des amerikanischen Marine Life Studies Projekt www.marinelifestudies.org Chelsea Mathieson und Josh McInnes, geht es dieses Mal nicht in den Wald, sondern aufs Boot. Die Meeresbiologen sind vor allem an den Orcas interessiert, die im Juni an die Ostküste ziehen. Dieses Jahr lassen die Killer Wale auf sich warten und die lokalen Zeitungen sind voller Mutmaßungen über die Gründe ihres Ausbleibens.

Buckelwal, Bären und Killer Wale

Als erstes Forschungsobjekt taucht ein Buckelwal auf. In sicherer Entfernung zum Boot springt er aus dem Wasser. Bis auch die Schwanzflosse wieder abtaucht, vergehen nur ein paar Sekunden – in der alle die Luft anhalten. Dann ist das Schauspiel vorüber. Die fünfköpfige Orca Familie lebt ganzjährig an dem wilden Küstenabschnitt und liefert wichtige Daten für die Studie der Meeresbiologen ‚The transient killer whale reserve project‘. Auch heute tauchen plötzlich ihre großen, schwarz glänzenden Rückenflossen auf, mal eine alleine, dann wieder in zwei und dreier Formationen. Gemeinsam waren die Raubfische erfolgreich bei der Robben Jagd und ziehen nun weiter in neue Reviere.

 

Auch hier wachsen die Bäume bis an die Ufer der zahllosen Inseln, die zwischen Vancouver Island und dem kanadischen Festland liegen. Die steinigen Strände sind ein Eldorado für Schwarzbären und Grizzlys, die sich in aller Ruhe ihre Bäuche mit Muscheln vollschlagen. Den ersten Grizzly sichtet Yukon. Der Siberian Husky begleitet Nick auf seinen Touren, denn der Vierbeiner ist ein begeisterter Wal- und Bären Suchhund. Meist steht der Husky mit dem hellen Fell im Bug des Bootes und lässt seine Umgebung nicht aus den Augen. Die Schwarzbärin mit ihrem Jungen betrachtet er genauso Mucksmäuschen still wie alle anderen Bootsinsassen.

Einzigartiges Ökosystem

Nur über die Wild Tiere ist der Wald in British Columbia zu dem geworden, was er ist – einmalig arten- und nährstoffreich. „Dafür sorgen im Wesentlichen die Lachsabfälle der Bären, Wölfe und Pumas, die über den Boden von den Pflanzen aufgenommen werden. So kommt es auch zu dem gigantischen Wachstum der Wälder“, erklärt Josh McInnes. Auch vom Boot sind kahle, abgeholzte Flächen zu erkennen – nackte, graue Bergrücken klaffen wie riesige Wunden zwischen der unendlich erscheinenden grünen Wildnis – die man immer noch mit British Columbia in Verbindung bringt.

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